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April 2022

Das Schaufenster, 1963, Öl auf Leinwand

Eberhard Schlotter hatte nach seiner Heimkehr aus dem Krieg in Darmstadt ein neues Zuhause gefunden. Seine Frau stammte aus Darmstadt, und ihre Familie nahm den jungen Künstler auf. Doch für ihn fast wichtiger war seine Akzeptanz in der Neuen Darmstädter Secession. Diese überregionale, äußerst wichtige Künstlervereinigung schien die ideale Gemeinschaft zu bilden, die einem Newcomer wie Schlotter die Kunstwelt öffnen könnte. Doch diese vielleicht etwas blauäugige Betrachtung der realen Verhältnisse kehrte sich bald ins Gegenteil. Obwohl – oder vielleicht weil – Schlotter 1955 zum Ersten Vorsitzenden der Neuen Darmstädter Secession gewählt wurde, überhäuften ihn bald die Probleme der deutschen Nachkriegs-Kunstszene. Er ging nach Spanien, einer Gegend, die ihm fremd und der er fremd war. Im Winter 1960 kehrte er nach vier Jahren zurück. Danach malte er eigenwillige Bilder, die als erste seine unverkennbare Handschrift zeigen.

Auch „Das Schaufenster“ von 1963 gehört noch zu dieser ersten Werkgruppe der so genannten „Leeren Bilder“. Das schräg gestellte Schaufenster führt uns in eine städtische Szene hinein, die trotz der hellen Farbigkeit trist und unheimlich wirkt: Die Auslage ist leer, es gibt außer der Architektur im Hintergrund und im Spiegel der Scheibe nichts Lebendiges zu sehen. Die schwarze Silhouette am linken Bildrand könnte einer Person in langem Mantel gehören – vielleicht sogar der Person, die im Schaufenster gespiegelt zu sehen ist? Doch das Schwarz ist so total, dass es wie ein Loch wirkt – und wie ein schwarzes Loch die Energie so zieht dieses Bildloch die Blicke immer wieder auf sich, als erwartete man eine Bewegung oder Veränderung.

Schlotter konstruierte das Gemälde mit Hilfe vieler dünner Linien, die einerseits die Architektur verdeutlichen und damit dem Bild Räumlichkeit verleihen. Andererseits helfen diese Linien nicht unbedingt, die Vielschichtigkeit und Multiperspektive der Komposition zu durchschauen. Vielmehr nehmen wir die farbigen Flächen wahr, die solche Bilder von Eberhard Schlotter zu genialen Mischformen aus gegenständlicher und ungegenständlicher Malerei werden lassen. Diese Malerei befreite den gequälten Künstler aus der Pflicht, sich für eine Seite entscheiden zu müssen: Er blieb gegenständlich und zeigte deutlich, dass jegliche Malerei eigentlich abstrakt ist.