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Dezember 2021

Autor/in: Charlotte Kowollik

Nicht erst seit Corona sind die Masken vor aller Munde. Bereits seit den 60er Jahren setzte sich Eberhard Schlotter mit dem Thema der Maskerade als Metapher für die individuelle Präsentation des Einzelnen in der Gesellschaft auseinander. Seine oftmals durch Spiegel verzerrten „Maskengeschöpfe“ begegnen uns in unterschiedlichsten Ausdrucksformen von grimassierend bis hohl vor sich hinstarrend, ängstlich oder auch leidvoll verloren.

1984 erhält Eberhard Schlotter den Auftrag von einer deutschen Bank, sich mit dem Thema Die Erfindung des Papiergeldes aus Goethes Faust künstlerisch auseinanderzusetzen. Wir befinden uns im 1. Akt von Goethes Faust, der Tragödie 2.Teil: Die Lage im Staat ist ernst. Es naht der Staatsbankrott. Mephisto in der Rolle des Hofnarren verspricht dem Kaiser einen Ausweg aus der Misere: Faust und Mephisto erfinden das Papiergeld. Aber zuvor will man noch den Karneval am kaiserlichen Hof feiern. In dem Bild Der Maskenzug, das im Zuge von Schlotters Arbeit an diesem Auftrag neben anderen Werken entsteht, beleuchtet Schlotter dieses heute noch aktuelle Thema der menschlichen Maskerade. Das zügellose Treiben wird durch die provokante Gegenüberstellung der beiden Figuren des Bildes zusammengefasst. Bildbeherrschend ist die Farbigkeit des prächtigen, aus kostbarer Seide aufwändig gefertigten Gewandes der männlichen Figur. Die Seide kann man anfassen, man kann sie knistern hören, sie hat Präsenz. Der Mann verbirgt sein Gesicht hinter einer weißen, absolut ausdruckslosen Maske. Fern jeder menschlichen Mimik starren uns schwarze Augenhöhlen an, die trotz ihrer Leblosigkeit faszinieren. Eine perfekte Visualisierung von Gesichtslosigkeit. Die verführerische, in Pastelltönen gemalte Schönheit im Hintergrund hat sich entschieden, viel von sich preiszugeben. In lasziver Kleidung und Haltung, die Maske auf die Haare zurückgeschoben, zeigt sie ihr Gesicht. Sie lächelt scheu. Die Augen sind niedergeschlagen. Sie zeigt gefühlvolles Verlangen. Die Darstellung wirkt wie ein karnevalistischer Kampf um Identität, Annäherung und Begegnung im festlichen Treiben. Doch die Maskerade geht weiter im gesellschaftlichen Gefüge. Schlotter thematisiert die Maskerade im Spannungsfeld zwischen Zeigen und Verhüllen als Mittel der nonverbalen Selbstdarstellung. Die Maske nimmt ihrem Träger Individualität, bietet aber auch Freiräume durch Anonymisierung, verschleiert oder betont das Erscheinungsbild. Gerne wüssten wir mehr über die beiden hier dargestellten Personen. Aber auch dieses Gemälde von Eberhard Schlotter ist ein Paradies der Vieldeutigkeit.

Goethe macht uns in folgendem Zitat Mut, in der Interpretation von Kunst der eigenen Wahrnehmung zu trauen:

„So habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen. Da kommen sie und fragen, welche Idee ich in meinem ‚Faust’ zu verkörpern gesucht. Als ob ich das selber wüsste!“ (Christian Baier / Opernhausblog / Oper Dortmund / 2016 )

Die Ergebnisse der künstlerischen Auseinandersetzung Schlotters mit dem Thema präsentierte die Eberhard Schlotter Stiftung im Jahr 2000 in der Ausstellung Faust Aspekte im Bomann-Museum Celle.