Januar 2025
Turm mit Zitrone, 1975
Mischtechnik auf Leinwand
Wie schon in den Bildern der späten 50er Jahre, in denen Eberhard Schlotter die Oberflächen seiner Umgebung – Wände, Häuser, Straßen – auf ihren Realitätsgehalt hin prüfte, so zeigen auch seine Bilder der 70er Jahre eine kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Diesmal aber konfrontierte Schlotter tatsächlich Vorhandenes mit Phantasiertem und Dazu-Gedachtem: Bericht und Dichtung treffen in seinen Bildern aufeinander. Die präzise Wiedergabe von Gegenständen verwandelte Schlotter in Täuschung, indem er unmögliche Ebenen miteinander kombinierte, realistische Größenverhältnisse ignorierte oder das Gemalte als Malerei entlarvte.
Der Turm mit Zitrone ist dafür ein schönes Beispiel, denn das Bild zeigt ein Architekturteil, das wahrscheinlich auf ein real existierendes Vorbild zurückgeht, kombiniert dieses aber mit farbigen Flächen, die etwas suggerieren, was nicht da ist. Verstärkt und zugleich gebrochen wird die Illusion eines Turms in der Landschaft durch eine realistisch gemalte, aufgeschnittene Zitrone. Während der Turm zunächst überzeugend wirkt, irritiert der Maler den Betrachter dadurch, dass er die Sockelzone völlig im Unklaren belässt. Dort entwickelt sich eine an Papier erinnernde Farbfläche, die den Turm teilweise überdeckt und gleichzeitig als Unterlage für die Zitrone dient. Dies ist physikalisch unmöglich, da die Fläche nicht gleichzeitig bildparallel und senkrecht zur Bildfläche stehen kann. Der Faltenwurf und die Zweifarbigkeit des Papiers suggerieren eine Brüstung, über der es liegen könnte – doch dann fällt die Zitrone herunter.
Diese scheinbare Zusammenhanglosigkeit der einzelnen Bildelemente gibt dem Betrachter ein Rätsel auf, das es zu lösen gilt. Wie bei der Deutung eines Traumes helfen ihm dabei Assoziationen, doch selten erschließen sich die Bilder auf den ersten Blick. Der eigenwilligen Komposition entsprechend ist ein subjektiver Zugang nicht nur möglich, sondern nötig.