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Mai 2023

CHARMES, 1953, Öl auf Rupfen.

Die in den 50er Jahren heftig geführte Diskussion um die Bedeutung der Abstraktion ging auch an Schlotter nicht spurlos vorüber: Sein wichtigstes Motiv dieser Jahre waren Hauswänden oder leeren Straßen und Plätze. Sein Interesse galt Farbflächen, Licht und Schatten sowie der Vieldeutigkeit der Dinge. 

Auf Reisen waren Landschaften stets ein zentrales Motiv seines Schaffens. Häufig hielt er diese Reiseeindrücke im Aquarell fest, zuweilen verarbeitete er sie aber auch in einem Ölgemälde – so wie im hier vorliegenden Fall. Die kleine Stadt Charmes im Moseltal des Départements Vosges in der Region Grand Est wurde von Schlotter im Spätherbst des Jahres 1953 auf der Durchreise nach Südfrankreich besucht.

Das erklärt die Verwendung so vieler kalter Farben für ein auf den ersten Blick südlich-warm wirkendes Motiv. Außerdem scheint sich Schlotter nicht sehr für eine topografisch genaue Wiedergabe des Städtchens Charmes interessiert zu haben. Die Architekturformen sind zwar mit kräftigen Linien hervorgehoben, können aber keinem wirklichen Gebäude zugeordnet werden. Hingegen ist die Wirkung der Farben bezaubernd – obwohl (oder weil?) sie nicht immer den Umrisszeichnungen der Gebäude entsprechen. Offensichtlich waren ihm die Stimmung des Ortes wichtiger als die nüchterne Wiedergabe der Wirklichkeit.

Diese Art, viele, relativ kleine Farbflächen so miteinander zu kombinieren, dass ein teppichartiger Gesamteindruck entsteht, hat den Maler nicht lange interessiert. In der Eberhard Schlotter Stiftung existieren nur drei ähnliche Gemälde, die alle aus den frühen 1950er Jahren stammen. Das mag vor allem mit seinem Umzug 1956 nach Südspanien zusammenhängen: Damals fand er das Dorf Altea an der Costa Blanca, wo er sich letztendlich für den Rest seines Lebens niederließ. Gleichzeitig verbrachte er viele Jahrzehnte lang das halbe Jahr in Deutschland. Neben Darmstadt und Hannover – den Städten, in denen er lange Zeit lebte – waren Celle und Bargfeld seine Anker in Deutschland: In Celle lebten zwei seiner drei Geschwister, in Bargfeld die Eltern und sein Freund Arno Schmidt.