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Februar 2024

Charmes, 1953, Öl auf Rupfen

Die in den 50er Jahren heftig geführte Diskussion darüber, ob die deutsche Kunst weiterhin gegenständlich-realistisch darstellen dürfe oder vielmehr gegenstandslos-abstrakt werden müsse, berührte Eberhard Schlotter unmittelbar, denn er war Mitglied und Vorsitzender der Neuen Darmstädter Sezession, die dieser Diskussion in den „Darmstädter Gesprächen“ ein Forum gab.

Sein Freund Arno Schmidt hatte ihm schon lange geraten, sich aus der Öffentlichkeit und dem Kontakt mit anderen Künstlern zurückzuziehen, um sich ganz auf sein eigenes Werk zu konzentrieren. Ein erster Anlauf, diesem Rat zu folgen, waren mehrere Reisen, die Eberhard Schlotter seit den frühen 50er Jahren unternahm. Dazu gehörte auch eine Reise nach Frankreich im Jahr 1953. Wohl unmittelbar anschließend entstand das Bild „Charmes“. Die kleine Stadt im Département Vosges befindet sich im Hügelland westlich der Mosel, sodass es möglich ist, von einer Anhöhe auf die ebenfalls auf einem Hügel liegende Stadt herabzublicken. Dies erklärt die schwankende Perspektive im Bild: Es ist nicht festgelegt, ob man von oben auf die Stadt sieht oder die Stadt sich nach oben ausbreitet. Trotz vorwiegend gerader Linien ist es Schlotter gelungen, die Stadt gewissermaßen kugelförmig darzustellen. Die auffällig vielen kleinen Farbflächen machen es zunächst schwierig, sich zu orientieren, doch einzelne Gebäude und hohe Bäume kristallisieren sich schnell heraus. Dennoch war es ganz offensichtlich nicht seine Absicht, eine topografisch genaue Vedute der Stadt zu malen, sondern vielmehr Licht und Atmosphäre dieses Ortes einzufangen. Und so liegt der besondere Reiz dieses Gemäldes in den zarten Pastellfarben und dem flirrenden Wechsel von hellen und dunklen Stellen im Bild.

„Charmes“ ist ein frühes abstrahierendes Werk der Serie der so genannten „leeren Bilder“, die menschenleere Architekturteile und ganze Plätze in flächiger und trotzdem mit Licht und Schatten spielender Weise darstellen. Die späteren Bilder dieser Serie entstanden zunächst in Spanien, wohin Schlotter sich 1956 bis 1960 zurückgezogen hatte, nachdem eine unter seiner Leitung von der Darmstädter Sezession gezeigte Ausstellung abstrakter Kunst öffentlich verrissen und er selbst beschimpft worden war.